Heike Reidinger (Kunstvermittlung Landesmuseum Bregenz) über Fred Schneider
Man sagt, der Prophet gelte im eigenen Land nichts. So ist es nicht verwunderlich, dass Fred Schneider seine erste Ausstellung in Österreich hatte.
Vor gar nicht allzu langer Zeit hat sich Fred Schneider entschlossen, mit seiner Kunst an die Öffentlichkeit zu gehen. Ein großer Schritt für ihn. Denn aus der Street-Art-Szene kommend war er lange Jahre die Anonymität gewohnt. Das heißt, Sie könnten durchaus die eine oder andere Arbeit von ihm gesehen haben. Irgendwo in München. Unter einer Brücke. In einer Unterführung. Im öffentlichen Raum. Wenn Sie es nicht bemerkt haben sollten: kein Mallheur. Denn in der Street-Art-Szene ist es üblich, mit einem „Pseudonym“, dem so genannten „Tag“, zu unterschreiben.
Das ist das Schöne an der Street-Art: Sie steht jedem offen. Sie gehört demjenigen, der sie für sich entdeckt. Eine ziemlich demokratische Angelegenheit so gesehen. Aber Sie könnten auch eines der gesprühten Werke von Fred Schneider im Norden Deutschlands entdecken. Denn eigentlich ist Fred Schneider gebürtiger Kieler, Jahrgangs 1963. Mit 17 Jahren wendet er sich den Graffitis zu. Mit Vorliebe allerdings den freien, gesprühten, gemalten Mustern. Schablonen, Stencils genannt, sind eher selten bei ihm im Einsatz. Seinen Lebensunterhalt verdient er zu der Zeit mit Zeichnungen und Auftragsarbeiten für Werbeagenturen in Hamburg und Bremen.
Viele Stars der internationalen Kunstszene kommen ja „von der Straße“. Man denke nur an den Deutschen Boris Hoppek, der in Barcelona lebt. Seine „C’mons“ aus der Opel Werbung kennen Sie bestimmt.
1989 kommt Fred Schneider schließlich nach München. Hier beschäftigt er sich intensiv mit der Malerei. Jetzt sind es die informelle Malerei und Künstler wie Robert Rauschenberg, Cy Twombly und Per Kirkeby, die ihn inspirieren und weitertreiben in seinen Studien.
Informelle Malerei heißt Verzicht auf beschreibbare Bildmotive. Farbrythmen und Strukturen bestimmen stattdessen das Bild. Nein, es sind keine zufälligen Kritzeleien damit gemeint. Alles ist bewusst gestaltet. Wie Fred Schneider einmal zu mit gesagt hat: „Kein einziges Element dürfte dazu kommen; kein einziges Element dürfte fehlen. Die Schwierigkeit ist, den Malprozess just im richtigen Moment abzuschließen.“
Im letzten Jahr also, im Herbst 2007, durften wir Fred Schneider mit ausgewählten Arbeiten auf Papier in einer Galerie in Bregenz ausstellen. Dort hat zum ersten Mal einer meiner Kollegen vom „poetischen Realismus“ gesprochen. Was das ist, sehen wir hier: Fred Schneiders Bilder sind Schichtungen von Farb- und Gedankenwelten, die Räume bilden. Gestisch sind die Farben gesetzt, überkritzelt, mit skripturalen Motiven versehen. Fred Schneiders Bilder setzen zu Erzählungen an, unterbrechen sie, schieben Gedanken quer hinein.
Nun also die Walls – Wände. Welche Wände setzt uns Fred Schneider hier vor? Auf der einen Seite wecken sie Assoziationen zu ganz realen Wänden – Stadtwänden. Besprühten Wänden. Bemalten Wänden. Beklebten Wänden. Wände, an denen man womöglich, ohne sie eines Blickes zu würdigen, vorübergeht. Aber diese Wände sind zuverlässige Größen im Alltag. Darauf spielt „Good Morning, Bob!“ von Fred Schneider an. Das Wandgemälde grüßt den Menschen, der auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen ist. Vielleicht schaut derjenige gar nicht auf – aber er kommt regelmäßig jeden Morgen wieder.
Auf diesen Wänden hat das Leben seine Spuren hinterlassen. Fred Schneider verdichtet, was an städtischen Impressionen, an Emotionen, an Inspirationen täglich auf ihn eindringt.
In Anlehnung an Marcel Duchamps Ready Mades und die Decollagen des Italieners Mimmo Rotella nutzt Fred Schneider diverse Versatzstücke des städtischen Alltags, um neue Kunstwerke zu schaffen. Aus den Walls – den Wänden – werden Räume. Lebensräume, die Fred Schneider aus zahlreichen Farbschichten und einzelnen Fragmenten aller Stilrichtungen aufbaut.
Und: Ist nicht genau das die Absicht von Kunst? Kunst will festhalten, Kunst will abbilden, was den Menschen in seiner physischen und psychischen Situation umgibt – die innere und äußere Realität.
Fred Schneider beschreibt die aktuellen Themen, die ihn bewegen, durch zeichnerische, malerische Chiffre. Blitze zucken. Pfeile zeigen. Farben verlaufen. Striche schlängeln. Graffitis überdecken. Malerische Hintergründe verschmelzen mit grafischen Strukturen. Farbflächen reihen sich rhythmisch mit schwarzen Tags. Das treibende Spiel der Farben und Formen verbindet sich bei Fred Schneider zu einer geschlossenen, unlösbaren Einheit.
Fred Schneider Wände stehen für einen Teil des urbanen Lebenssystems. Pars pro toto. Aber Walls – Wände sind auch ganz konkrete Leinwände. Trotz aller Gestik und Farbintensität: die Bilder von Fred Schneider verführen – und versperren sich zugleich einer einfachen Interpretation. Denn wie schon Oscar Wild in seiner berühmten Vorrede zum „Bildnis des Darian Grey“ sagt:
Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol.
Wer unter die Haut dringt, tut es auf eigene Gefahr.
Wer dem Symbol nachgeht, tut es auf eigene Gefahr.
In Wahrheit spiegelt die Kunst den Zuschauer, nicht das Leben.
Dazu fordere ich Sie auf: Entdecken Sie die Viel-Schichtigkeit der Bilder. Da ist zum Beispiel das Bild „With No Paper“. Sieht aus wie aus einzelnen Papierbögen zusammengesetzt. Ist es aber nicht. Fred Schneider beweist, dass er das Malhandwerk beherrscht – auf fast alchimistische Weise. Denn diese „gerissenen Fetzen“ sind lediglich Farbschichten.
Fred Schneiders Tag – also Kennzeichen – ist OMOMO. Zusammengesetzt aus OMO – omnia mea mecum porto: Alles, was ich habe, trage ich mit mir. Und MO – memento mori: bedenke, dass du sterblich bist.
Das erste Zitat wird dem griechischen Philosophen Bias von Priene zugesprochen. Einem der Sieben Weisen, der es auf der Flucht aus der Heimatstadt gesagt haben soll. Was will er uns damit sagen? Nicht materielle Dinge zählen, sondern das Wesen der Dinge, die Talente von Menschen zum einen – und zum anderen: alles ist endlich! Diesen Vanitas-Gedanken kennen wir aus barocken Gemälden in Form von Symbolen wie der Zitrone als Zeichen der menschlichen Vergänglichkeit bzw. Nichtigkeit. Fred Schneider liefert uns mit seinem OMOMO die moderne Interpretation.
Besonders hinweisen möchte ich Sie auf die kleinen Formate. Diese Serie scheint mit besonders ausgewogen. In der Komposition, im Duktus und in der Farbigkeit. Sie sind verschiedenen Frauen gewidmet, die eine Bedeutung für Fred Schneider haben. Welche das sind? Keine Ahnung, das hat mir Fred Schneider nicht verraten. Aber eine muss ihm besondere Schmerzen bereitet haben, wie sonst ließe sich das wiederkehrende Motiv des Zahnarztbesuches erklären?
Aber vielleicht täusche ich mich auch mit meiner Interpretation. Genau das ist die Absicht von Fred Schneider, den Betrachter zur Auseinandersetzung zu bewegen. Er gibt Hinweise – Codes – wehrt sich aber gegen eine eindeutige Interpretation. Unsere Aufgabe ist es, die Codes für uns zu dechiffrieren.
Fred Schneider bewertet nicht. Malerei steht neben Schrift steht neben Graffiti steht neben Typographie. Verwitterte Plakate werden ebenso als Farbfläche benutzt wie Acrylfarben – oder Putz aus dem Baumarkt. Deshalb wirken die Walls so authentisch. Man könnte meinen – diese Bilder sind aus einer Mauer herausgeschnitten und in die Ausstellung transportiert.
Fred Schneider will „schichten, verschieben, übermalen. Alles geben und alles benutzen. Und zum Schluss ist es doch nur ein Bild“, sagt er.
Ich lade Sie ein, die Storys und Charaktere hinter den Walls zu entdecken. Sehen Sie selbst, wie bei „Selfsister“ eine schreiende Person im Profil dargestellt ist, wenn man ganz genau hinschaut. Wie bei „Woolrich“ verschiedene Sprühtechniken kombiniert sind. Farbe läuft aus, bildet Risse. Schmale Streifen sind zu sehen, kleinste Breiten, doppelte Linien.
Entdecken Sie die Bilder – und damit ein Stück von sich selbst.
Auch wenn es am Ende nur ein Bild ist, es ist Ihr persönliches!
Gisela Hesse (Kallmann Museum) über Fred Schneider
Wie überflutet von flüchtigen Eindrücken aus der Komplexität des urbanen Lebens wirken die „Walls“ lebendig und bewegt. Es finden sich Fragmente aus der Streetart, aber auch malerische Elemente, die Assoziationen zum abstrakten Expressionismus wecken.
Mit dieser Synthese aus Malerei und Versatzstücken der Streetart – Schneider bezeichnet sie als „Neue Urbane Malerei“ – hat der Künstler seine eigene authentische Bildsprache gefunden: Grafische rhythmische Strukturen aus Schriftzeichen stehen in spannendem Kontrast zu malerischen Flächen und bilden ein neues Ganzes. Anonyme Kunst wird aus dem öffentlichen Raum herausgehoben und zu einer individuellen Aussage verdichtet.
Ines Alwardt (Süddeutsche Zeitung) über Fred Schneider
Hommage an die eigene Vergangenheit
Ismaninger Schlosspavillon präsentiert „Last Walls“: Fred Schneiders Graffiti-Bilder stecken voller Emotionen.
Früher, als noch niemand wusste, dass es die Krankheit Aids gibt, sprühte er mit gebrauchten Fixer-Nadeln; unter den Kieler Brücken suchte er sich die zusammen – im Stadtteil Mönkeberg, das einem Ghetto wie der Bronx in New York ähnelt, nur in kleinerer Dimension. Das, sagt Fred Schneider, sei auch die Zeit gewesen, in der er noch „illegal unterwegs war“. Der schmale Mann grinst ein bisschen und fährt sich mit der Hand durch die perfekt geschnittene Kurhaarfrisur. Schneider, der in Kiel als Graffiti-Künstler angefangen hat und heute ein international anerkannter Maler ist, steht in der Mitte des barocken Ismaninger Schlosspavillons, an den mit grüner Satin-Tapete ausgekleideten Wänden hängen Leinwände, deren aufwühlende Energie vor drei Jahrzehnten noch Spaziergänger auf den Straßen nordischer Städte irritierte – rotzig klebten seine gesprühten Werke damals an dreckigen Fassaden von Abbruchhäusern, am Mauerwerk von S-Bahn-Tunneln und Brückenbauten.
„Last-Walls“ – letzte Mauern: Es ist kein Zufall, dass Schneiders Ausstellung, die seit Freitag in der Ismaninger Galerie zu sehen ist, so heißt. Der Titel klingt wie ein Abgesang auf seinen Abgesang in der Streetart-Szene. Und tatsächlich: Die nächtlichen Aktionen mit der Spraydose, mit denen sich der der damals 17-Jährige zunächst in der norddeutschen Graffiti-Szene etablierte, habe er schon lange aufgegeben, sagt der Künstler; die tief sitzenden Jeans hat der heute 47-Jährige getauscht: gegen eine dunkle schmale Anzughose und ein schlichtes Jackett; nur die weißen Sneakers mit den drei blauen Streifen an den Seiten sperren sich dagegen, Schneider äußerlich vollständig in die Schublade der klassischen Künstler einzuordnen.
Seine Bilder erzählen die Geschichte seiner Herkunft, sprechen noch immer die Sprache der Straße: Inspiriert von den Graffiti aus den achtziger und neunziger Jahren kleben da verwaschene, abgerissene Plakatfetzen neben rauen Schichten aus schwarzem Teer, finden sich mit der Dose frei gesprühte Buchstaben und Muster an gemalten und wieder eingeritzten Ornamenten. Die auf den ersten Blick chaotisch wirkenden Bilder mit ihren bis zu 100 verschiedenen Schichten hält Schneider mit seinen Styles, in der Graffiti-Szene der Begriff für die individuelle Handschrift des Künstlers, zusammen. Nur wer genau hinsieht, ein paar Meter zurücktritt, wieder zwei schritte nach vorne macht, erkennt die räumliche und auch inhaltliche Tiefe in den Werken.
Zum Beispiel in denen der „Girls Series“. Jedes einzelne Bild trägt nicht nur den Namen einer Frau, die den Künstler in seinem Wesen beeinflusst hat, sondern er stellt sie auch dar. Bilder, sagt Schneider, seien wie Menschen. „Im Laufe der Zeit eignen sie sich durch bestimmte Ereignisse bestimmte Eigenschaften an. Die treten nachher stärker hervor als andere.“ So überlagern sich auch in „Gesa“ und “ Tina“ unterschiedliche Ebenen, treffen grelle Farben aufeinander und kämpfen, jede für sich, um die Aufmerksamkeit des Betrachters.
Dekonstruktion spielt für den Künstler dabei eine wesentliche Rolle: Sie spiegelt nicht nur die Veränderung des Menschen, sondern auch seine Endlichkeit; in Schneiders künstlerischer Praxis kann das so aussehen, dass er eine Tüte voller Papier in die Waschmaschine steckt, um die ausgewaschenen Fetzen dann auf die Leinwand zu bringen. Von solch unkonventionellen Aktionen und dem emotionalen Chaos des vierjährigen Projekts „Last Walls“ hat Schneider nun aber erst einmal genug.
„Ich brauche jetzt Ordnung in meinem Leben“, sagt der 47-Jährige, der nicht nur in Europa, sondern auch schon in New York und San Francisco ausstellte. Er will zurück in die klassische Malerei, zurück zum Naturalismus und weniger anstrengenden Arbeiten. Seit zehn Jahren arbeitet Schneider als freischaffender Künstler in München, verdient sein Geld hauptsächlich mit Ölmalerei. Er selbst sieht sich nicht mehr als Graffiti-Künstler. „Was ich hier mache, ist Malerei“, sagt er. Und es klingt, als sei seine Zeit mit der Spraydose längst abgeschlossene Vergangenheit.
Günter Herburger (Schriftsteller) über Fred Schneider
Informeller Sensualismus
Nach dem Krieg tobte in den USA der abstrakte Expressionismus, und bei uns, von den Amerikanern als Reeducation verordnet und mit Geld, wie wir heute wissen, vom CIA unterstützt, die stille Abstraktion. Die Plastik fing mit gestapelten Bierfilzen in Bronze und bemalten Verkehrszeichen aus Stahl an. Es war die Zeit der ersten Kaufhöfe in Rautenschalen und Betonkirchen als Gottessprungschanze. Später begann die konkrete Serialität, der nachgeahmte Pop, ein Wandel zum Plakatismus, die numinelle Zerstörung, die Kunst am Bau, die Photoverwischung und Weichzeichnerei, schließlich die Mythifizierung auf riesigen Gemälden und in Blei. Die Wohnungen einer vergangenen Moderne wurden möbliert. Die Märkte befleißigten die Künstler zu vehementer Produktion und Profilierung. Die Kostüme der Personalien wurden wichtig. Immense Summen und erworbene Seeufer waren im Spiel. Einem dieser Katasterschrecks gelang es, finstere Häuser, die er um seine tonnenschweren Werke gebaut hatte, samt Inhalt zu verkaufen. Gehäuse und Bild erfuhren eine Marianische Transportevelation, auch nach Übersee. Andere schneiden noch Landschaften auf, flechten Büsche und Zweige quer, verändern Gewässer wie Biber oder errichten in Wüsten lichte Uhrentempel. Alle diese Mahnmale gegen Schändung der Natur sind flüchtig, verzehren sich selbst. Ruhe kehrt ein, Besinnung, ein Merkmal des Blicks nach innen oder zum Horizont, der städtisch, auch ein Futterfeld sein kann. Sparsamkeit vereinigt sich mit ein wenig Öl, Kreide und Leinsamen, vielleicht Bleistift und Kohle, mitunter mit Spray. Manchmal sind es Teile eines Aquarells, der schwierigsten Disziplin. Fred Schneider heißt der neue Maler, als sei sein Name abwesend oder lautete, durchaus möglich, anders. Er baut aus durchsichtigen Farbschichten ineinander Wände. Wir vermöchten durch sie zu gehen. Aber das Gefühl der Geborgenheit verändert sich an den Rändern. Plötzlich fallen wir aus der Welt, kehren zappelnd zurück. Wem es nicht gelingt, schaut ins Leere. Die Absicht klingt nach Tönen, ganzen Orchestern, ab und zu mit einem verdeckelten Paukenschlag. Es gibt kein Entrinnen mehr. Durch die unaufdringlichen Farben zucken gekratzte Schnüre und eckige Blitze. Das Gefühl nicht genormter Benennung breitet sich aus, und gäbe es noch verzinkte Wannen, in denen nacheinander die ganze Familie badet, bis auf dem Wasser eine Schicht aus Kernseife und lindem Schmutz entsteht, wären wir froh, als würden wir Reinigung erst kennen lernen.